Wir verlassen Bischkek unter einer Dunstglocke. Es ist warm geworden die letzten Tage. Wir können es selbst kaum glauben, aber das Thermometer zeigt 26°C. So sitzen wir im T-Shirt auf dem Rad. Wirklich raus aus Bischkek kommen wir aber erst am Mittag. Es ist immer dasselbe Spiel und langsam zur Gewohnheit geworden. Wenn wir eine Nacht im Hostel verbracht haben, schaffen wir es am nächsten Tag eigentlich nie früh zu starten. Dies liegt nicht etwa an der Tatsache, dass wir keine Lust mehr aufs Radeln haben, vielmehr gibt es immer noch etwas zu erledigen. Und selbst jetzt, wo wir schon eine Woche in der Stadt sind, kommen wir nicht vor Mittag los.
Bis zur Grenze nach Kasachstan sind es nur 20 km. Ruckzuck haben wir den Ausreisestempel im Pass. Für die Einreise nach Kasachstan möchte ich eigentlich meinen zweiten Reisepass verwenden, in dem sich das Chinavisum befindet, das Andi vor gut zwei Monaten in Tiflis beantragt hat. Andi hat seine Pässe ohne weiteres bereits an der tadjikisch – kirgisischen Grenze gewechselt. Der kasachische Grenzbeamte macht aber ausnahmsweise mal seine Job und sucht den kirgisischen Ausreisestempel. Verdammt, denk ich mir und muss ihm wohl oder übel meinen zweiten Pass zeigen. Er schaut mich an wie ein Ufo. Nach etwas hin und her gibt er mir dann den Einreisestempel, leider aber in den alten Pass. Jetzt muss ich es an der chinesischen Grenze nochmal probieren.
Wir klettern noch ein ganzes Stück bevor wir an dem Abend unser Zelt aufbauen und anfangen zu kochen. Wir sind gerade fertig, als ein eisiger Wind aufzieht. Ein plötzlicher Temperatursturz und wir haben die 0°C Grenze unterschritten. Windböen die immer mehr Schnee mit sich bringen peitschen gegen unser Zelt und drücken es gefährlich ein. Ich sehe mich schon morgen zurück nach Bishkek radeln, um ein neues Zelt zu kaufen. Das Fotostativ wird kurzerhand als Stütze für die Zeltwand genutzt. Während Andi vor sich hin schnarcht, sitze ich senkrecht im Zelt.
Bei immer noch eisigen Temperaturen und etwas abgeschwächten Wind packen wir am nächsten Morgen zusammen. Außer zwei ausgerissene Klettbänder am Außenzelt hat aber alles die Nacht heil überstanden. Die Straßenränder sind verschneit aber es wird langsam wärmer. Noch ein paar Höhenmeter hinauf und es geht hinunter mit Blick auf die Weite der kasachischen Steppe.
Bis Almaty genießen wir jetzt den Blick auf die schneebedeckten Ausläufer des Tien Shan Gebirges zur rechten die immer wieder durch den Wolken hervor blitzen. Wie schon Bishkek zuvor liegt auch Almaty am Fuß der Berge. Die Stadt erscheint jedoch wesentlich moderner und die Menschen wohlhabender.
Im stockenden Verkehr fahren wir in die Stadt. Unsere Essensvorräte sind aufgebraucht und wir unheimlich hungrig. Wir erspähen ein Restaurant vor dem alle möglichen Backwaren verkauft werden. Genau das Richtige für uns. Am Ende haben wir uns doch wirklich durch das gesamte Sortiment gefuttert. Die nette Frau hat mich sofort in ihr Herz geschlossen und bietet uns an uns etwas im Restaurant auszuruhen. Wir müssen leider dankend ablehnen, es ist schon spät geworden und noch haben wir kein Hostel gefunden.
Nach einer Nacht verlassen wir Almaty am Nachmittag. Großstädte sind einfach nichts für uns. Aber Almaty ist sicherlich der perfekte Ausgangspunkt um den Süden von Kasachstan zu erkunden. Über eine Nebenstraße versuchen wir dem meisten Verkehr aus dem Weg zu gehen, leider nur mit mäßigem Erfolg. Die wenigen Straßen in Kasachstan sind meist stark befahren.
Unser neues Taschensystem fährt sich deutlich leichter als zuvor. Es kribbelt uns in den Fingern, unsere Räder im Gelände auszuprobieren. Der Wetterbericht verspricht zudem anhaltend gutes Wetter für die nächsten Tage. Auf der Karte entdecken wir einen Pfad durch die Berge hinunter zum Bartoghaysee. Bei einer kurzen Suche im Internet stellt sich heraus, dass die Route im Sommer wohl sehr beliebt bei 4x4 Offroad-Fahrern ist. Doch wie ist es jetzt, da es auf den Winter zugeht? Ist die Strecke überhaupt machbar für uns? Beantworten kann uns die Frage niemand. Wir schauen einfach, wie weit wir kommen, und nehmen zur Sicherheit Essen für 5 Tage mit. Sehr überrascht, dass alles in die Taschen passt, machen wir uns auf den Weg. Die ersten Kilometer geht es auf einer geräumten, jedoch stellenweise vereisten Asphaltstraße durch die Ausläufer des Ile-Alatau Nationalpark. Nach ein paar Kilometern hört der Asphalt abrupt auf und ein schneebedeckter Pfad führt in ein tiefes, schmales Tal. Der Weg ist nicht geräumt und aufgrund der Steigungen müssen wir stellenweise die Räder hinaufschieben. Immer wieder rutschen wir weg und müssen kämpfen, um weiter zu kommen. Aber genau diese Herausforderung ist es, die wir so lieben. Am Abend stellen wir völlig erschöpft unser Zelt neben dem Weg auf. Wir kuscheln uns gerade in unsere Schlafsäcke, als ein Schäfer mit seinen vier Hunden an unser Zelt klopft und uns einlädt, mit zu ihm zu kommen. Wir sind aber einfach zu müde, um alles wieder zusammen zu packen und müssen dankend ablehnen.
Der nächste Tag beginnt eisig. Normalerweise suchen wir uns immer Plätze, zu denen möglichst früh die Sonne hinkommt. Heute braucht sie eine Weile, sie kommt erst im nächsten Tal. Mit der Sonne wird auch der Schnee weniger. Zum Mittag erreichen wir unseren höchsten Punkt auf 2550m. Von der Sonne verwöhnt geht es auf dem Assy Plateau schnell voran, wir haben sogar Rückenwind. Traumhaft! Der Pfad teilt sich in viele kleinere Pfade. Zum Teil verlaufen mehr als fünf Spuren mit unterschiedlichen Abständen auf dem Plateau. Immer wieder müssen wir vereiste Bäche durchqueren und das möglichst ohne nasse Füße zu bekommen, was nicht immer gelingt. Zumal meine Schuhe trotz Gore Tex Membran schon lange nicht mehr wasserdicht sind oder waren sie das überhaupt einmal?
Auf der andern Flussseite sehen wir ein paar Häuser, jedoch keine Menschenseele und auch keinen Rauch aus den Schornsteinen. Oben auf dem Plateau gibt es tatsächlich einen kleinen Laden und Übernachtungsmöglichkeiten, die im Sommer wahrscheinlich gut besucht sind, für uns jedoch geschlossen. Egal, wir haben alles dabei.
Für die Nacht finden wir eine verlassene Hütte. Jäger haben uns vor Bären gewarnt, die es hier geben soll, und unser Essen können wir mangels Bäumen nicht hochbinden. Die Nacht ist unruhig, nicht wegen der Bären, sondern wegen einer Maus, die alles anknabbern will, das sie findet. Selbst das Feuerzeug, das wir auf dem Boden liegen gelassen haben, versucht sie zu entführen.
Für den nächsten Tag steht ein Durchqueren des Flusses an. Mittlerweile ist dieser breit geworden und hat sich in mehrere Stränge unterteilt. Ein kurzer Temperaturcheck mit der Hand im Wasser sagt uns, es wird nicht angenehm. Aber es geht kein Weg dran vorbei, wir müssen auf die andere Seite. Schuhe aus, Hose hoch, und los geht’s. Das kalte Wasser schmerzt und auf der anderen Seite fühlen wir unsere Füße nicht mehr, als wir das erste Rad rübergebracht haben. Das sollen wir noch dreimal machen? Tolle Aussichten! Auf dem Rückweg treibt sogar eine Eisscholle an uns vorbei. Wie gut, dass zumindest die Sonne da ist und die Füße schnell wieder auftauen.
Wir verlassen das Hochplateau, der Untergrund wird steiniger und wir werden zeitweise ordentlich durchgeschüttelt. Es geht nochmal heftig den Berg hinauf. Zu heftig! Auf dem steinigen Untergrund, bei der Steigung, machen wir mit zwei Schritten vorwärts wieder einen zurück. Wieder einmal ein wahrer Kraftakt. Mit dem alten Taschensystem wären wir mit Sicherheit nicht hinaufgekommen. Oben erwartet uns ein weiteres Hochplateu mit unzähligen Pferden und Kühen.
Die Abfahrt hinunter zum Bartoghay See ist kalt, da die Sonnenstrahlen nicht mehr in das Tal hinunterreichen. Schnee und Dreck der letzten Wochen haben meine Bremsbeläge komplett runter radiert. Also noch mal Beläge wechseln. Der See selbst hat kaum Wasser und ist auch landschaftlich kein Highlight. Die Schlafplatzwahl ist heute schwieriger als sonst. Wir haben die Qual der Wahl: ein windgeschützter Zeltplatz oder direkt Sonne am Morgen? Wir entscheiden uns unserem Zelt zu Liebe für den Windschutz.
Nach vier Tagen haben wir wieder Asphalt unter den Rädern und fahren von Kökpek aus ein Stück über die Hauptstraße Richtung Charyn Canyon. Ein Abstecher, der sich wirklich lohnt. Mittlerweile wird auch hier Eintritt verlangt. Wir dürfen aber mit den Rädern rein und zelten die Nacht am Charyn Fluss im Canyon. Der Canyon erinnert Andi stark an eine Miniaturausgabe des Bryce Canyon, den er bereits gesehen hat. Ich kann mich also schon auf die USA freuen.
Wir lieben Kasachstan zu dieser Jahreszeit, es ist einfach nichts los. Die Temperaturen sind nach den kalten Nächten auf dem Hochplateau fast zu warm. Wahrscheinlich aber auch deshalb, weil Wolken aufziehen und die Sonne sich für die nächsten Tage erst einmal verabschiedet.
Wir verlassen den Canyon nach Shonzhy. Erst über übelste Waschbrettpiste, dann weiter auf der Hauptstraße, welche eine Flickenteppich-Schlaglochpiste ist. In der Stadt füllen wir unsere Vorräte auf. Wir haben tatsächlich alles aufgefuttert. Es ist spät geworden und ich hasse es, im Dunkeln auf so einer Straße zu fahren. Ein paar Kilometer müssen wir aber hinaus, bevor wir das Zelt aufbauen können.
Das gute Wetter hat sich jetzt endgültig verabschiedet, es regnet den Vormittag über! Nachdem wir uns richtig eingesaut haben, stoßen auf die im Bau befindliche Autobahn, welche in Zukunft Almaty mit dem chinesischen Grenzübergang Khorgas verbinden soll. Endlich wieder genug Platz für uns auf der Straße und Rückenwind. Wuhu! Nach ein paar Kilometern müssen wir dann doch wieder auf die alte Straße wechseln. Richtung Grenze nimmt der Verkehr dann stark zu. Viele chinesische Busse kommen uns entgegen. Wir haben gehört, dass Kasachen und Chinesen visumfrei über die Grenze zum Shoppen können.
Wir müssen so häufig wie noch nie unseren Pass und das chinesische Visum vorzeigen. In meinem Fall beide Reisepässe. Eine kurze Erklärung genügt, warum ich zwei Pässe haben. Ansonsten verläuft die Ausreise völlig unproblematisch. Zwischen den Grenzen radeln wir eine 7 km lange Schleife durch einen mit Kameras gespickten Korridor aus Stacheldraht, um am Ende wieder 500m vom Anfangspunkt entfernt rauszukommen. Die Einreisehalle für Personen erinnert stark an eine Flughafenempfangshalle. Wir sind lustigerweise die einzigen hier und haben das Gefühl, dass die Beamten sich freuen, endlich etwas zu tun zu haben. Der Passwechsel von Steffi wird gar nicht bemerkt und bis auf ein paar Taschen, die wir nach dem Röntgen öffnen müssen, verläuft auch dieser Grenzübertritt völlig entspannt. Ich muss noch einmal zittern, als der Beamte Andi nach unserer Reiseroute fragt. Geografie war noch nie seine Stärke und er kommt bei Ortsnamen ständig durcheinander. Der Beamte gibt sich aber mit der improvisierten Reiseroute, die damit endet, dass wir von Peking aus ein Schiff in den Süden nehmen, zufrieden. Eigentlich haben wir noch keinen konkreten Plan, über welche Route wir genau nach Süd-Ostasien kommen.
Mit China erwartet uns eine neue Welt. Wir sind beide aufgeregt. Überall blinkt, leuchtet oder flimmert es von riesigen Bildschirmen á la Time Square in New York. Wir kommen uns auf einmal ziemlich hilflos und verloren vor. Die Sprache und Verständigung wird eine neue Herausforderung, die es zu meistern gilt. Ein krasser Wechsel zu den, was Sprache und Essen angeht, sehr ähnlichen Stan-Staaten. Eines wird schnell klar: „Big Brother is watching you“ und der erste Polizeikontakt lässt nicht lange auf sich warten. Dazu aber mehr im nächsten Blog
Unterwegs bis zur chinesischen Grenze (Khorgas) 12.490 km und 226 Tage
geschrieben von Steffi