Am Mount Robson, dem höchsten Berg der kanadischen Rockies, lassen wir für ein paar Tage die Räder stehen. Vom Kinney Lake geht es zu Fuß weiter über den Berglake Trail vorbei an Wasserfällen, Seen und Gletschern hinauf bis zum Snowbird Pass. Eine dreitägige Wanderung, deren Highlight für uns der Blick vom Snowbird Pass hinunter auf das Reef Eisfeld ist. Leider darf hier nur auf ausgewiesenen Campingplätzen übernachtet werden, die während der Hauptsaison meistens voll und zudem teuer sind. Hinter dem Berg Lake sind kaum noch Wanderer unterwegs, weshalb wir gerne noch viel weiter gelaufen wären. Doch für die Kilometer, die wir normalerweise an einem Tag auf dem Rad machen, haben wir jetzt drei Tage zu Fuß gebraucht. Mit unseren improvisierten Rucksäcken und Andis mittlerweile Tischtennisball großen Löchern in den Schuhen waren drei Tage ausreichend. Auch merken wir die einseitige Belastung durch das Radfahren. Die Beine sind zwar stark, aber die Rumpfstabilität hat in den Monaten stark abgebaut. Trotzdem mal ein abwechslungsreiches Programm für den gesamten Körper, das wir noch die nächsten Tage spüren werden.
Wieder zurück auf unseren Rädern fahren wir weiter zum Jaspers Nationalpark. Da Kanada dieses Jahr seinen 150. Geburtstag feiert, ist der Eintritt zu sämtlichen Nationalparks kostenlos. Doch nicht nur für uns, sondern für alle anderen auch. Der kleine Ort Jaspers quillt über vor Touristen. Alle Campingplätze und Hotels sind schon lange im Voraus ausgebucht. Am Patrica Lake 5km außerhalb der Stadt finden wir trotzdem ein einsames und gleichzeitig schönes Plätzchen für die Nacht. Am nächsten Tag sind wir schon 20 km aus der Stadt draußen, als ich mit meinem Pedal an einem Stein hängen bleibe. Normalerweise nichts wildes, trotzdem ist eines verbogen. Ärgerlich, da ich sie erst in Bangkok ausgetauscht habe. Offensichtlich war der Stahl nicht gehärtet. Also wieder zurück und bis morgen warten bis der Radladen wieder aufmacht. Ausgerechnet hier, wo die Preise wieder ihren Zenit erreicht haben. Da heißt es Augen zu und durch.
In Jaspers ist gleichzeitig auch der Beginn des berühmten Icefield Parkway, der durch den Jaspers und Banff Nationalpark nach Lake Louise geht. Berge, Gletscher, türkis-blaue Seen, Wasserfälle... Alle Radler, die wir unterwegs getroffen haben, waren der Meinung, dass wir hier unbedingt entlang müssen, wenn wir noch nie dort waren. Der viele Verkehr und Rauch durch die Brände trübt allerdings das Erlebnis. „Komm, wir fahren mal schnell über den Icefield Parkway, wenn es schon nichts kostet“, das haben sich wohl viele Reisende und Einheimische gedacht. Als eine Frau keuchend aus dem Auto gesprungen kommt, auf den Auslöser ihrer Handykamera drückt und schon wieder verschwunden ist, müssen wir beide lachen. Immerhin kann sie jetzt behaupten, dass sie dort gewesen ist, auch wenn das Foto mit Sicherheit nichts geworden ist.
Leider haben wir nicht viel Glück mit dem Wetter. Am zweiten Tag erwartet uns am Columbia Icefield und Fuß des Athabasca Gletscher kalter Eisregen sowie dichte Wolken. Wir verkriechen uns dick eingepackt unter einer Überdachung und schauen uns das bunte Treiben vor dem Besucherzentrum an. Eine lange Schlange wartet am Ticketschalter. Zu Wucherpreisen lassen sich die Leute hinauf auf den Gletscher karren oder können über eine Glasterrasse laufen, die sich noch nicht einmal über dem Gletscher, sondern nur an einem Geröllfeld befindet. Diese Art des Massentourismus hat wenig mit dem ursprünglichen Ziel von Nationalparks, dem Naturschutz, zu tun. Bis zum Jahre 2100 soll der Gletscher wohl ganz verschwunden sein. Bis dahin kann aber noch konsumiert werden, egal was es kostet. Der Tourenanbieter Brewster folgt dabei seinem Werbespruch „We know all the best places“ (Wir kennen all die besten Orte). Eins ist uns sicher, die Teuersten mit Sicherheit.
Da das Wetter nicht besser werden will, beschließen wir weiterzufahren. Um Lake Louise liegt dichter Rauch und zu viel Andrang, sodass wir gar nicht erst hinauf zum See fahren, sondern direkt weiter.
In Banff ist der Startpunkt der Great Divide. Eine über 4.000 km lange Mountainbikestrecke, die von Kanada einmal quer durch die USA bis zur mexikanischen Grenze führt und sich dabei an der nordamerikanischen kontinentalen Wasserscheide sowie den Rocky Mountains orientiert. Eine Strecke, auf die wir uns schon die ganze Zeit freuen. Abseits von Verkehr und 90% unasphaltiert soll sie sein. Eins ist klar, wir wollen mit Sicherheit nicht die gesamte Strecke bis zur mexikanischen Grenze auf der Great Divide unterwegs sein. Immerhin haben wir einen National Park Pass für die USA. Und über die Trail könnten wir theoretisch in 4 Wochen in Mexiko sein. Das ist nicht unser Ziel.
Wir füllen nochmal unsere Essensreserven auf, vergessen aber unsere Spritflasche aufzufüllen, sodass Andi noch einmal eine Extrarunde dreht. Wir sind hoch motiviert und sofort begeistert von dem Weg, der sich über Waldwege gespickt mit kleineren Trails schlängelt. So kann es die nächsten Wochen weitergehen, denken wir uns. Leider tut es das nicht und wir sind schon bald auf einer breiten Schotterstraße unterwegs. Am späten Abend kommen wir an einem Rastplatz vorbei, der wegen Bärenfütterung durch Touristen geschlossen ist und wenn sich Bären erst mal an unser Essen gewöhnt haben, können sie zu einem ernsthaften Problem werden. Wir haben leider nicht viele Möglichkeiten, bei gerade einsetzendem Eisregen schlagen wir unser Zelt nicht allzu weit entfernt auf. Diesmal mit einem etwas mulmigen Gefühl.
In Elkford können wir das erste Mal wieder einkaufen. Wir folgen dem Elk Valley Trail nach Sparwood. Nach einem schönen Singletrack zu Beginn geht es über Asphalt weiter mit Blick auf die riesige Kohlemine von Sparwood. Wir entscheiden uns der Hauptroute der Great Divide zu folgen, was nochmal mehr Asphalt bis Corbin bedeutet. Am Bergwerk in Corbin fängt die Flathead Valley Road an und eine Handvoll Quadfahrer tummeln sich hier.
Im Mittelteil hat der Bach den Weg weggespült und wir folgen einem stellenweise noch aktiven Flussbett. Über den Flathead River gibt es keine Brücke mehr, weshalb wir durch den nicht sonderlich tiefen Fluss furten. Bei der Hitze die ersuchte Abkühlung. Die nächsten Tage geht es hauptsächlich über Schotterstraßen oder Waldwege weiter. Auf den Recreation Sites (Zeltplätzen) entlang des Flusses tummeln sich doch mehr Camper als gedacht. Wirklich abgelegen ist die Gegend nicht. Im Sommer ein Erholungsgebiet für Touristen und im Herbst Jagdgebiet. Wegen ihres hohen Wildtierbestand wird die Gegend auch Serengeti Nordamerikas genannt. Zudem soll es hier eine hohe Grizzlybär-Konzentration geben. Wir halten die Augen und Ohren offen, aber außer ein paar Rehen sehen wir keinerlei Bären. Es bleibt also bei nur 49 Bären, die wir seit Anchorage gesehen haben.
Am Wigwam River stoßen wir auf den Beginn eines Singletracks in Richtung Galton Pass. Ein steiles Zwischenstück kommen wir nur gemeinsam schiebend hinauf. Wir müssen etwas schmunzeln über die Routenbeschreibung der Great Divide, die noch aus den Anfängen des Bikepackings stammt und empfiehlt, Rad und Anhänger separat den Berg hinaufzuschieben.
In einer langen Abfahrt geht es hinunter zur US-Grenze bei Roosville. Wir sind geschockt von der trockenen Hitze, die hier herrscht. Auf Nachfrage beim netten Grenzbeamten bekommen wir ein neues 6 Monats US Visum ausgestellt. „Normaly we don’t do that, but...“. „Normalerweise machen wir das nicht, aber ich bin gut gelaunt und ihr seid mir sympathisch“, antwortet uns der Grenzbeamte. Puhh...für 6 $ pro Person dürfen wir uns jetzt bis Ende Januar 2018 anstatt Ende Oktober 2017 in den USA aufhalten. Kurioserweise haben die Amerikaner noch nicht einmal gewusst, dass wir oben in Alaska bzw. uns die letzten 2 Monate in Kanada aufgehalten haben. Unser Flug von Seattle nach Anchorage wurde als inländischer Flug genauso wie der Grenzübergang nach Kanada nicht registriert. So betreten wir mit dem „Schatz Staat“ Montana den ersten der 48 Kontinentalstaaten der USA, die in Alaska immer nur als lower 48 (unteren 48) bezeichnet wurden. Wie lange wir uns wirklich in den USA aufhalten werden, entscheiden wir unterwegs.
Unterwegs bis zur US-Grenze bei Roosville 26.357 km und 480 Tage
geschrieben von Steffi
Willkommen in British Columbia „The Best Place on Earth“ ("der beste Platz auf Erden") – oder so. Genau an diesem verheißungsvollen Straßenschild machen wir mit einer Gruppe portugiesisch-amerikanischer Motorradfahrer Pause. Mitten in der Midlife crisis befinden sie sich auf dem Trip ihres Lebens von Florida hoch nach Alaska. Alle haben das ganze Leben hart gearbeitet und so viel Geld und Besitztümer angehäuft, die sie nicht glücklich gemacht haben. Frei dem Motto „Männer werden sieben, danach wachsen sie nur noch“ heizen sie den Hügel einer Sandpiste hinauf und wieder hinunter. Die BMW Motorräder haben sie sich extra für den Trip gekauft. Wir genießen das bunte Treiben und die Show. Am Ende ist die Gruppe so begeistert von unserem Trip, dass sie uns einen Hotel- oder Restaurantbesuch in den USA sponsern. Wow...
Der Stewart – Cassiar Highway ist bekannt für seine Bären und wir wurden im Vorfeld immer wieder von Autofahrern gewarnt. Nachdem wir am ersten Tag keinen einzigen gesehen haben, sind wir etwas skeptisch. Doch gleich am nächsten Morgen sehen wir zwei kleine auf der Straße rumtollen, während die Mutter genüsslich im Graben sitzt und futtert. Wie immer machen wir uns durch Rufen und lautes Sprechen bemerkbar. Meistens hilft das auch und der Bär verschwindet auf Nimmerwiedersehen im Gebüsch. Doch hier am Stewart – Cassiar Highway sind sie schon so an den Lärm der Straße gewöhnt, dass sie sich nicht immer von hupenden Lkws oder Radlern stören lassen. Auch kommt es vor, dass wir erst viel zu spät bzw. viel zu nah feststellen, dass da ein Bär war. „Oh, hast du den Bär gerade eben gesehen?“ Die empfohlenen 100m oder mehr Abstand zu halten, ist in den seltensten Fällen möglich. Wie bei uns Menschen ist Bär auch nicht gleich Bär. „Be carful with mother with cups and old grumpy man“, warnt uns ein Camper, der uns morgens mit Kaffee versorgt. Ja, Mütter mit Kindern und alte Männer können schon mal ungemütlich werden ;-)
Auch das Wetter bleibt ungemütlich mit Gegenwind und frostigen Temperaturen. „Ist das etwa Neuschnee auf den Gipfeln?“ Tagsüber ist die Straße dann doch mehr befahren als wir erwartet haben. Vor allem im südlichen Teil der Strecke sind viele Holztransporter unterwegs, die äußerst rücksichtslos fahren. Erst am späten Abend ist bis auf ein paar Lkws niemand mehr auf der Straße. So kommt es, dass wir wie schon in Alaska häufig spät fahren. Die 2 bis 3 Stunden bevor es dunkel wird, werden immer mehr zu unseren Lieblingsstunden. Weiter südlich wird es nachts wieder richtig dunkel, das erste mal seit zwei Monaten zeigen sich Sterne am Himmel. Ein komisches Gefühl.
Neben Bären entdecken wir mit Wolf und Vielfraß noch weitere Tiere. Beim Zähneputzen werden wir von einem ausgewachsenen Luchs beobachtet. Er ist viel größer als der kleine, den wir oben im Norden gesehen haben. Nachdem er festgestellt hat, dass ihm keine Gefahr droht, läuft er ganz gelassen weiter sein Revier ab. Schade ist nur, dass wir bei solchen Momenten meist nicht die Kamera zur Hand haben. Auch haben wir immer noch kein richtiges Foto von einem Bären. Meistens sind sie schon weg, bevor wir überhaupt reagieren können, zu weit weg um sie auf Fotos noch erkennen zu können oder sie sind zu nah, dass es besser ist das Bärenspray anstatt der Kamera in der Hand zu haben. Auch wenn wir nicht das Gefühl haben, Angst vor Bären haben zu müssen, sind es immer noch wilde Tiere, die uns als Eindringlinge in ihrem Revier sehen könnten.
Bei bestem Wetter machen wir einen Abstecher hinauf zum Salmon Gletscher. Auf dem Weg dorthin zeigt uns ein Tourist stolz Bilder von seinem Heli-Rundflug über den Gletscher. Leider liegt so ein Spaß jenseits unserer Preisklasse. Die Straße rauf ist taff, aber selbst mit all unserem Gepäck zu bewerkstelligen. Pünktlich zum Mittagessen sind wir oben und kochen erst einmal Spaghetti und genießen eine kalte Cola und Bier, dass wir von Campern geschenkt bekommen.
Eine über 70 - jährige Deutsche, die hier in Kanada lebt, zeigt uns wieder einmal, dass es nie zu spät ist um seine Träume zu verwirklichen. Mit kleinem Anhänger, Katze, Auto und Seekajak auf dem Dach ist sie von Toronto aus auf dem Weg nach Inuvik, hoch in den Polarkreis.
Im Kispiox Valley legen wir einen Zwischenstopp auf der WoodGrain Farm von Jonathan und Jolene ein. Die beiden produzieren nahezu all ihre Lebensmittel selbst. Neben Obst und Gemüse haben sie eine Handvoll Hühner, Lämmer und eine Kuh. Wir sind so fasziniert von der Lebensweise, dass wir uns kaum Ruhe gönnen und stattdessen lieber mit anpacken. Unkraut rupfen, Erdbeeren ernten und Andi macht den Heuwender wieder fit. Ich helfe bei der Käse-, Butter- und Brotherstellung. Am Abend gibt es dann das beste Eis, dass ich je gegessen habe. Wir brauchen auch mal so eine Kuh wie Hazel mit cremiger Milch. Gerne wären wir noch länger geblieben und hätten so wie Felix aus Deutschland ein paar Wochen mit angepackt. Mit "Wwoofing", einem weltweiten Austauschprogramm für freiwillige Helfer auf Bio-Höfen, kommen vor allem im Sommer regelmäßig Helfer auf die WoodGrain Farm. Leider haben wir eine Verabredung einzuhalten und müssen unsere erste Wwoofing Erfahrung auf später verschieben.
Samstags ist Wochenmarkt in Smithers sowie Canada Day, Nationalfeiertag in Kanada und Jubiläum mit 150 Jahren. Alles ist mit Fahnen geschmückt, aber anders als erwartet keine große Parade oder Straßenfest. Auch sonst haben wir das Gefühl, dass eher verhalten gefeiert wird. Fast gleichzeitig zum Nationalfeiertag haben wir unsere 25.000 km auf dem Rad zu feiern. Die letzten Wochen sind die km nur so an uns vorbeigezogen.
Wir haben einfach keine Lust auf viel Verkehr, weshalb wir wo irgendwie möglich Seitenstraßen nehmen. Doch irgendwann landen wir dann doch auf dem Yellowhead Highway in Richtung Prince George. Die Straße, welche wegen ihrer traurigen Vergangenheit auch „Highway of Tears“ (Straße der Tränen) genannt wird. Unzählige Schilder von vermissten Jugendlichen prägen die Straße. Große Hinweistafeln warnen vorm Trampen und Autofahrern ist es hier verboten, Tramper mitzunehmen. Trotzdem sehen wir immer wieder Menschen an der Straße stehen, die auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Nicht unbedingt die beste Gegend für Backpacker, welche auf freundliche Autofahrer angewiesen sind.
"Warum seit ihr ausgerechnet hier auf der Strecke unterwegs, wo es doch nichts zu sehen gibt?", fragt uns ein Camper. Da hat er wohl recht, aber irgendwie müssen wir von A nach B kommen, was heißt auch mal langweilige Abschnitte zu überbrücken.
Mit Zunahme des Verkehrs und Menschen merken wir sofort, dass wir uns Prince George nähern. Das Angebot an Lebensmittel ist reichhaltig, überall spriesen Fast Food-Ketten aus dem Boden und Preise werden günstiger. Auch die Menschen werden immer dicker und dicker. Nach unserem ersten Walmart-Besuch in Prince George können wir auch verstehen warum. Die Preise für Essen haben sich im Vergleich zum Yukon nahezu halbiert. Hinter Prince George wird die Gegend langsam wieder interessanter. Über 2000 Jahre alte Zedernbäume und der Wald bieten angenehme Temperaturen in der Mittagshitze.
Im Robson Valley versuchen Bauern verzweifelt noch ihre Heuernte einzubringen, bevor ein Gewitter über uns hinweg zieht. Trockenheit und Unwetter haben in den letzten Tagen zu hunderten Waldbränden in British Columbia geführt. Der Notstand wurde ausgerufen. Zwei Straßen in Richtung Süden sind geschlossen und der gesamte Verkehr rollt über unsere Strecke. Dichter Rauch liegt in der Luft und das Atmen fällt schwer, auch wenn es noch nicht so schlimm wie in Kambodscha ist. Der Rauch und Verkehr wird uns auch die nächsten Tage über begleiten.
Unterwegs bis Jasper 25.523 km und 468 Tage
geschrieben von Steffi
Der kanadische Frühling zieht sich in Form von lila blühenden Lupinen entlang des Straßenrands. Eine gewonnene Abwechslung in der endlosen Weite des Yukon, der von uns ewig lange Distanzen fordert. Bis auf tausende Touristen in ihren Wohnmobilen kommt uns die Gegend fast menschenleer vor. Wir können verstehen, dass es so viele Deutsche hier hoch verschlägt. Die Abgelegenheit lässt auch uns tief in Gedanken versinken und alles nochmal viel intensiver wahrnehmen. Mit ein paar Abstechern über Offroad-Pisten halten wir uns bei Laune. Doch ein Wanderweg bringt uns an unsere Grenzen und darüber hinaus.
The Yukon is beautiful but also a challenge. We had to pedal very long distances and sometimes we only saw big RVs going up north in the deserted countryside. Sometimes we lost ourselves in thought and reflected our impressions. We understood why many Germans end up in the North. From time to time we took off-road tracks to keep in good mood. Finally a hiking trail pushed us to our limit.
Auf Schotter geht es für uns auf der kanadischen Seite des „Top of the World Highway“ weiter. Kurz nach dem Grenzübertritt kommen uns bereits die ersten RV's entgegen, die meist mehr an einen LKW als an ein Wohnmobil erinnern. Da kann die nachfolgende Strecke ja nicht sehr anspruchsvoll sein, denken wir uns. Tatsächlich macht uns der Gegenwind mehr zu schaffen als die Straße, die sich in einem endlosen Auf und Ab über die Bergkuppen schlängelt. Obwohl nur auf 1300m über dem Meer haben wir das Gefühl, dass alles andere um uns herum winzig ist.
Mit der Fähre über den Yukon erreichen wir Dawson City, die erste Stadt in Kanada. Vom einstigen Goldrausch ist in der alten Goldgräberstadt nicht mehr viel zu spüren. Dennoch tummeln sich hier im Sommer die Touristen. Wir treffen Faez, einen iranischen Radler, der im Frühling, als die Flüsse noch gefroren waren, über den Dempster Highway geradelt ist.
Auch wir überlegen kurz noch einen „Abstecher“ in Richtung Norden rauf nach Inuvik zu machen, damit einzutauchen in den nördlichen Polarkreis. Doch 740 km Schotterstraße, zweimal die gleiche Strecke, hin und zurück!? In der Touristeninformation heißt es, dass die beiden Fähren über den Mackenzie River und Peel River wahrscheinlich erst Mitte Juni den Betrieb aufnehmen. Die Frau aus der Touriinfo schlägt uns daher vor hinzufliegen und dann zu schauen, ob bis dahin die Fähren fahren, ansonsten dann wieder zurück fliegen. Wir brauchen nicht lange zu überlegen, das ist definitiv nichts für uns.
Über den Klondike Highway geht es weiter Richtung Süden. Landstriche, in denen kein Stein mehr auf dem andern liegt, sind Zeugnisse des Goldrauschs. Hier wurde einst gebuddelt was das Zeug hält. Das Wetter schlägt um. Neben Regen bekommen wir Gegenwind. Die Worte des iranischen Radlers liegen in unseren Ohren: Bei Regen habt ihr Gegenwind – Er behält recht! Sobald es regnet haben wir Gegenwind und das tut es leider viel zu häufig, zudem es noch einmal kalt geworden ist. Doch nichts im Vergleich zum Winter, bei dem die Temperaturen weit unter -40° C fallen können und das öffentliche Leben still steht.
Uns kommt es gerade recht, dass wir zwei Nächte bei Laird verbringen können. Mit Sicherheit der hipste Hipster in Pelly Crossing, der in seiner Freizeit Tiny Houses (Minihäuser) baut und der einzige Vegetarier, den wir kennen, mit einem Kühlschrank voller Hirschwürstchen. Eine sehr inspirierende und minimalistische Lebensweise. Wer weiß, vielleicht bauen wir uns auch irgendwann ein Tiny House, vorstellen können wir es uns auf jeden Fall gut. Zum Abschied bekommen wir noch einen leckeren Elcheintopf zum mitnehmen.
Wir haben uns entschieden nicht nach Whitehorse zu fahren und die größte Stadt im Yukon und damit die erste große Einkaufsmöglichkeit auszulassen. Über die kleine Frenchman Lake Road und den Campbell Highway hoffen wir dem Hauptstrom an Campern etwas aus dem Weg zu gehen. Ein Camper auf dem Heimweg von seinem Wochenendtrip schenkt uns noch seine Essensreserven. In 20 min ist er zurück in Whitehorse und kann im nächsten Walmart wieder einkaufen. Super, aber die Aussage hätte er sich sparen können. Aus Gesprächen mit Einheimischen wissen wir zwar, dass es zwei-drei kleinere Einkaufsmöglichkeiten gibt, aber nicht genau was es gibt.
Dass nicht allzu viele Radler hier über die Nordroute kommen, merken wir, als am nächsten Tag eine Frau anhält und sich erkundigt, ob alles OK bei uns ist und ob wir etwas brauchen. Es herrscht nur noch wenig Verkehr auf der Straße und die Campingplätze, an denen wir Pause machen, sind menschenleer. Alle Camper scheint es aktuell hoch nach Alaska zu ziehen. Je einsamer die Gegend wird, umso mehr geben die Menschen aufeinander acht. Ein Phänomen, das wir auf der Reise immer wieder erleben.
In der endlosen Weite kommen auch Fragen auf. Was arbeiten die wenigen Leute hier oben? Wie ist das Leben hier im Winter? Fragen, die uns leider nur unzureichend beantwortet werden können. Ob Goldrausch oder Tourismus, Alkohol und Drogen sind und bleiben ein großes Problem der Communities. Vor allem in den vielen Ureinwohner-Siedlungen ist dies zu spüren. Doch ob betrunken oder voll gedröhnt, die Natives sind außerordentlich freundlich und heißen uns in ihrem Kanada Willkommen.
Mit Andis erstem Platten seit Anchorage fallen uns beim Flicken ein paar kanadische Dollarscheine auf, die jemand um unser Flickzeug gewickelt hat. Wir schauen uns beide fragend an. Wir haben die Räder doch nirgends unbeaufsichtigt gelassen. Langsam dämmert es uns, die Alaskaner sind schon ein verrücktes Volk. Da kann ein Platten schnell zu einer freudigen Überraschung werden. Der nächste Einkauf ist auf jeden Fall gesichert.
In der Touristeninformation in Faro werden wir gleich auf deutsch begrüßt. So viele Deutsche wie hier oben im Yukon haben wir selbst in Thailand nicht erlebt. In den drei Stunden, die wir mit Blog schreiben und Routenplanung verbringen, kommen fast ausschließlich deutsche Pärchen rein. Der Grund ist eine Condor Maschine, die in den Sommermonaten jeden Sonntag direkt von Frankfurt nach Whitehorse fliegt. Kanada gehört zu einem der beliebtesten Reisefernziele deutscher Urlauber und ist ein beliebtes Ziel für deutsche Auswanderer.
Von Faro nach Rossriver haben wir einen Trail ausfindig gemacht, der endlich mal nicht in einer Sackgasse endet. Ein Wanderweg 67 km entlang des Pelly River. In der Touriinfo heißt es, dass der Trail durchaus mit den Rädern machbar istn zumal er erst kürzlich freigeräumt wurde und trocken sei. Und schon ist die Falle zugeschnappt. Nachdem wir den ersten Steilhang hinunter gefahren sind und uns nasse Füße bei der ersten Flussüberquerung geholt haben, gibt es kein Zurück mehr. Was wir einmal angefangen haben ziehen wir auch durch, mit der Hoffnung auf Besserung. Es folgen Sand, Geröllfelder, eisige Flussdurchquerungen, Steilhänge und Morast. Wir sehen beide aus wie Erdferkel im verzweifelten Versuch vorwärts zu kommen. Immerhin brauchen wir abends kein Zelt aufstellen, sondern können in einer der vier Schutzhütten entlang des Trails übernachten. Das ist aber auch der einzige Lichtblick. Der Weg an sich ist nur bei einigen wenigen Abschnitten wirklich schön und lohnenswert. Nur gemeinsam packen wir es voranzukommen. Häufig müssen wir die Strecken dreimal laufen, um die Räder gemeinsam zu schieben. Die wohl steilste Strecke unserer Reise mit 40% Steigung auf rutschigem Untergrund. 100m Anstieg auf 250m, das fordert! Definitiv nur etwas für masochistisch Veranlagte. Vielleicht waren wir auch einfach zur falschen Zeit dort, sicher jedoch mit den falschen Rädern und immer noch zu viel Gepäck. Wir sind beide glücklich, als wir in Ross River ankommen und neue Kraft im Lebensmittelladen tanken können.
Zurück auf dem Highway biegen wir auch schon wieder ab auf die South Canol Road. Eine Schotterstraße, die zu Kriegszeiten von den USA zum Bau und Wartung einer Ölpipeline genutzt wurde. Von der Pipeline ist nichts mehr übrig, aber die Straße als beliebte Reiseroute ist geblieben. Für Autos ist sie offiziell noch gesperrt, aber mit Rädern kein Problem. Kein Verkehr und unzählig viele Zeltmöglichkeiten an einer der vielen Seen. Leider auch die ersten bösen Abende mit Mosquitos. Selbst beim Bergauffahren fangen sie jetzt schon an zu stechen. Mit der einen Hand sind wir fleißig am wedeln, während wir so schnell wie möglich aufwärts pedalieren. Ach, wie wünschen wir uns doch die langsamen und großen Mosquitos aus Alaska wieder zurück.
Über den Alcan (Alaska – Canada Highway) geht es in Richtung Watson Lake. Wir treten noch mal ordentlich in die Pedale, um die eintönige Strecke mit vielen Trucks möglichst schnell hinter uns zu bringen. Ach, und da ist ja noch mein Geburtstag, den wir auf der Strecke verbringen. Es gibt zwar keinen Geburtstagskuchen, aber immerhin eine Familienpackung Croissants, die wir vor dem Müll gerettet haben.
Wir wollen beide so schnell wie möglich nach Watson Lake. Einkaufen, Duschen, Wäsche waschen... Mit diesem Ziel vor Augen können wir problemlos 130 km am Tag abspulen.
Watson Lake ist ein Muss-Stopp für alle Alcan-Reisenden. Aus aller Welt kommen die Leute, um durch den Schilderwald zu streifen oder selbst ein Schild aufzuhängen. Wie in aller Welt kommen nur all die deutschen Ortsschilder hier her? Und wer ist so verrückt ein geklautes Ortsschild im Koffer über den Teich zu transportieren?
Bei ordentlich Gegenwind geht es wieder ein paar Kilometer zurück, um auf den Stewart-Cassiar Highway abzubiegen. Wir verlassen den Yukon und damit den „wahren Norden“, es geht nach British Columbia „The Best Place on Earth“. Zumindest verspricht uns das der Slogan auf dem Straßenschild. Uns erinnert es einmal mehr an chinesisch-amerikanische Superlative hier in Kanada. Wir sind gespannt...
Unterwegs bis Watson Lake 23.600 km und 440 Tage
geschrieben von Steffi