
„Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!“ – Kirgistan war für uns alles andere als ein tolles Erlebnis, dabei hat nach dem Pamir alles so schön angefangen. Dazu aber mehr im Blog.
In Osh verfallen wir in einen Shopping-/ Fressrausch. Wohin das Auge reicht, Essen! Samsa, die meistens mit Fleisch, Kartoffeln oder selten auch mit Kürbis gefüllten Teigtaschen, das im Lehmofen gebackene Fladenbrot Lipioschka, frittierte Teigtaschen Tschibureki und neben Bier natürlich Kefir zum Trinken. Das Bier ist mit 2 Litern unter 2 € so günstig wie schon lange nicht mehr.
Das anfangs noch schöne warme Wetter ist schnell verflogen. Ich traue meinen Ohren kaum, als ich in der Nacht wegen dem ungewohnten Geräusch von Regen auf unserem Zelt aufwache. Im Osh verbringen wir den ersten Regentag seit Armenien. Das feucht-kalte Wetter in Kirgistan unterscheidet sich vollkommen von dem noch trocken-kalten Wetter im Pamir.
Zusammen mit Alberto planen wir unsere Route nach Bishkek. Zweieinhalb Wochen Zeit haben wir dafür, bevor sein Flieger am 1. November zurück nach Spanien geht. So lange wollen wir noch zusammen fahren.
Unsere Route soll uns über den Kaldamar Pass zum Song Kul See und dann weiter nach Bishkek führen. Soweit der Plan bis dahin.
Wir folgen erstmal der stark befahrenen M41. Die Landschaft ist nicht wirklich atemberaubend und der Verkehr macht uns fertig. Wir sind es nicht mehr gewöhnt die Straße mit so vielen Autos und LKWs zu teilen, zumal die Kirgisen ohne Sinn und Verstand fahren. Uns fällt wieder der Grund ein, warum wir kleine Straßen so lieben. Der Pamir war eine wahre Wohltat und alle Strapazen wert. Wir wollen so schnell wie möglich runter hier und schauen sehnsüchtig auf unseren Weg Richtung Kazarman. Der Verkehr wird nach Jalalabad leider nur schleppend weniger. Die ersten 35km ist die Straße neu asphaltiert und entsprechend stark befahren. Auf dem Kaldama Pass mit über 3000m sollen schon ein paar Zentimeter Schnee liegen, wie wir von Einheimischen erfahren, wir werden sehen ob wir durchkommen. Abseits des Weges schlagen wir auf einem Feld unsere Zelte auf.

Am nächsten Tag dann der Super Gau! Jemand hat systematisch unsere Taschen geleert, die sich zwischen unseren Zelten befunden haben. Bekleidung, Ersatzteile, Medizin, Erste Hilfesachen und Essen wurden gestohlen. Vor allem die dicken Handschuhe und die Regensachen sind für die nächsten Tage im nasskalten Kirgistan essentiell und lassen sich nicht so einfach ersetzen. Die Diebe haben selektiv ausgewählt. Mir bleibt nur noch das an Bekleidung, was ich den Tag zuvor an hatte. Und meine Softshelljacke, bei der der Reißverschluss kaputt ist und die wahrscheinlich deshalb zurückgelassen wurde. Auch mein bereits vollgeschriebenes Tagebuch ist weg. Ein herber Verlust mit all den Erinnerungen und Notizen von 165 Tagen Reise.
Andi und Alberto versuchen im nahegelegenen Dorf etwas zu erreichen. Aber ohne Erfolg. Bei der Polizei spricht keiner Englisch und wir bekommen nur Gelächter am Telefon zu hören. Auch die deutsche Botschaft ist, wie schon in anderen Ländern, absolut keine Hilfe.
Unseren Plan zum Son-Kul See zu fahren können wir begraben. Wir müssen umdrehen und den Weg zurück nach Jalalabad fahren. Zu groß ist das Risiko von Schnee und Regen auf unbefestigten Straßen ohne Winterbekleidung. Leere mischt sich mit Unsicherheit und Wut. So endet der zweihundertste Tag unserer Reise, in einem Desaster. Aber es muss weiter gehen, wir wollen uns nicht unterkriegen lassen.
In Jalalabad dürfen wir nach ausgiebigem Essen dann im Hinterzimmer eines Restaurant übernachten. Gerade richtig, denn es schneit die ganze Nacht über. Dementsprechend lange brauchen wir am Morgen, um weiter zu kommen. Ohne das sie von meiner Situation wissen, schenken mir die Mädels zum Abschied eine Sweatjacke. Genau das Richtige für die kommenden Tage.
Wir wollen trotzdem oder gerade deshalb mit dem Rad nach Bishkek fahren. Basta! Dann halt über die Hauptstraße, so können wir immer noch auf ein Auto aufspringen. Immerhin müssen wir auf dem Weg nach Bishkek zweimal die 3000er Höhenmeter überschreiten. Das Wetter in Kirgistan soll unberechenbar sein und Oktober und November zu den regenreichsten Monaten zählen.
Aber zuerst brauchen wir ein paar Handschuhe, was garnicht so einfach hier auf dem Basar zu finden ist. Handschuhe sind wohl nur für Kinder üblich, Erwachsenen habe die Hände meist in den Jackentaschen. Wir statten uns noch mit zwei großen Plastiktüten aus. Kein wirklicher Ersatz für unsere Regenjacken, aber im Extremfall immerhin etwas Regenschutz.
Das Wetter hat sich wieder beruhigt und die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite. Die schneebedeckten Gipfel des Fergana Range zur Rechten und die weiten Felder des Fergana Tal zur Linken geht es über die Hauptstraße. Wieder viel Verkehr und eine stellenweise sehr enge Straße. Außerdem ist die Gegend recht dicht besiedelt, ein Ort nach dem anderen. Die Enttäuschung auf unseren Gesichtern will nicht so recht weichen.

Mit dem Naryn Fluss wird die Landschaft langsam interessanter. Fluss und Straße schlängelt sich entlang der Berge, die sich im türkisfarbenen Wasser spiegeln. Ein endlos erscheinendes Auf und Ab. Der erste kleine Pass mit 1400m beschert uns eine tolle Abfahrt und Aussicht auf den Toktogul See, ein riesiger Stausee und Wasserreservoir. Einmal auf die andere Seite bitte, es sind doch nur 11 km über den See. Wir müssen aber außen herum dem ständigen hoch und runter der Straße folgen. Dafür können wir den Ausblick auf den See noch etwas genießen. Der Verkehr und vor allem die knappe Fahrweise der Kirgisen versaut die Stimmung jedoch mächtig. Ein Fischrestaurant nach dem anderen folgt. Wir wollen aber einfach nur weiter. Für die nächsten Tage ist Niederschlag gemeldet, der in höheren Lagen hoffentlich als Schnee runter kommt. Schnee ist in unserem Fall deutlich besser als Regen.
Und tatsächlich starten wir am nächsten Tag bei leichtem Schneefall die restlichen 25 km bis hinauf zum Alabel Pass. Alberto, der wie immer etwas schneller den Berg rauf ist als wir, hat schon mal den Kocher für das Mittagessen angeschmissen. Ein Fehler, wie wir schnell feststellen. Auf 3184m ist es ohne Sonne, dafür mit Wind, scheiße kalt und das Wasser braucht auch deutlich länger zum kochen. Wir frieren uns buchstäblich den Arsch ab. Schlecht, denn jetzt geht es runter! Die Finger sind irgendwann so kalt, dass der Schmerz schon nicht mehr zu spüren ist. Trotz drei Paar Handschuhe übereinander. Zum Windschutz noch eine Plastiktüte drüber und im kleinsten Gang mit angezogener Bremse ordentlich treten. Das zeigt mal wieder, dass es mit der falschen (Ersatz-) Ausrüstung schnell kritisch werden kann. Die Strecke wird wieder flacher und langsam spüren wir unsere Finger und Füße wieder.
Am Fuß des nächsten Passes schlagen wir unser Zelt auf und können die Autos und LKWs beobachten, wie sie sich die Serpentinen hinauf- und hinunterschrauben. In der Nacht fängt es dann wieder an zu schneien und am Morgen ist alles weiß. Das die Straße verschneit und teilweise vereist ist, scheint die Autofahrer nicht sonderlich zu interessieren und manche fahren als ob nichts ist. Uns wundern die vielen Kreuze und etlichen Unfallfahrzeuge am Straßenrand nicht mehr. Zumal auch hier kaum einer angeschnallt ist. Kleine Kinder stehen während der Fahrt hinter der Windschutzscheibe und spielen...
Die Reifen der Fahrzeuge haben meist so wenig Profil, dass von Grip gar keine Rede mehr sein kann. Wir reagieren gereizt, wenn wieder einer zu knapp überholt oder wie ein Verrückter hupt. Alberto leert nicht nur einmal den Inhalt seiner Trinkflasche auf die Windschutzscheibe dieser Idioten.
Trotz Schnee und Eis kommen wir sehr gut zurecht, zumal es erst einmal aufwärts geht. Wir realisieren, dass die Karte völlig falsch ist, was die Höhenmeter angeht. Bei der Genauigkeit der Karte hätte ich auch Kaffeesatz lesen können. Letztendlich erreichen wir die 3200m Höhe und damit den Tunnel, der unter dem Töö Ashuu Pass durchgeht. Lkws dürfen den ansonsten viel zu schmalen Tunnel nur in eine Richtung befahren. Eine Gruppe Lkws ist einige Minuten vor uns in den Tunnel gefahren. Wir dürften also nicht mit Gegenverkehr rechnen. Wir schalten unsere Beleuchtung ein und rein geht’s. 2,5 km ist der Tunnel lang, die Beleuchtung nur sporadisch und der Boden uneben. Die Luft ist aber bei weitem nicht so schlecht wie immer behauptet wird. Wegen Eis zu Beginn fahren wir sehr langsam und vorsichtig aber zum Glück bergab, schon sehen wir Licht am Ende.
Auf der anderen Seite angekommen, bläst uns eisiger Wind und Schnee ins Gesicht. Wir ziehen alles an, was wir noch haben, und fahren die Serpentinen hinunter ins Tal. Durch die miese Kombination aus Schnee, Regen, Sand und Dreck schmelzen die Bremsbeläge dahin und wir müssen an 2 Rädern die Beläge tauschen. Kein leichtes Unterfangen mit kalten Händen.
Trotz der tieferen Lage fällt in der Nacht wieder Schnee statt Regen, jedoch ist dieser nicht mehr trocken sondern nass, kalt und unangenehm, vor allem ohne Regenjacke. Wie gut, dass wir noch die großen Plastiktüten im Gepäck haben. So kommen diese doch noch zum Einsatz. Wir wollen einfach nur noch nach Bishkek, haben die Schnauze voll von der Straße. Wenn noch einmal Kirgistan, dann nur noch auf Nebenstraßen. Da hatten wir wohl einfach Pech.
In Bishkek quartieren wir uns im 12er Saal des Nomad`s Home ein, das aktuell eigentlich geschlossen ist. Umso besser für uns, für die anderen neun Personen wäre jetzt eh kein Platz mehr.
Wenn die Stadt nicht gerade im Smog liegt, erheben sind die schneebedeckten Ausläufer des Tian Shan Gebirges südlich der Stadt. Die Stadt vereint alte sowjetische Baukunst mit moderner.
Da alle Jurten unterwegs schon abgebaut waren, haben wir nichts von der nomadischen Lebensart der Kirgisen mitbekommen. In Bishkek sind wir nahezu täglich auf dem Basar und bekommen so einen Einblick in Land und Leute. Hier finden wir neben Billigwaren aus China, endlich wieder frisches Obst und Gemüse. Chinakohl, Kürbis, Äpfel und Granatäpfel... Die eine Woche in Bishkek mit all dem guten Essen macht sich bemerkbar. Naja, etwas Winterspeck kann bei den zunehmend kälter werdenden Temperaturen nicht schaden. Die Kommunikation klappt meistens reibungslos mit ein paar Brocken Russisch, zumal uns eh viele für Russen halten. Mittlerweile können wir ohne weiteres sagen was wir möchten und auch die Standardfragen nach dem Woher...?, Wohin..? Wie lange...? beantworten.
Kathi und Flo von cyclelust, welche für einen kurzen Heimaturlaub in Deutschland waren, haben Ausrüstung und Bekleidung für uns mit zurück nach Osh genommen. Da wir uns aber mittlerweile in Bishkek befinden, kommt das Paket in elf weiteren Stunden Fahrzeit mit einem der vielen Sammeltaxis zu uns. Nachts um halb vier bekommen wir dann den Anruf des Fahrers, der etwas auf Russisch ins Telefon sagt, was wir leider nicht verstehen. Andi hechtet die Meter vor zum Bahnhof um jemanden zu finden, der dem Fahrer sagen kann wo wir uns befinden. Keine 10 Minuten später ist das Paket da und wir können aufatmen.
In Bishkek finden wir zwar einige recht gut sortierte Outdoorläden, zumindest für Andi ist es aber unmöglich eine Regenjacke geschweige denn eine Regenhose zu finden, die lang genug ist. Da haben wir nochmal Glück gehabt, diese aus Deutschland kommen zu lassen.
Alles Schlechte hat auch etwas Gutes, du musst es nur finden.
In Bishkek nehmen wir uns die Zeit, unser Taschensystem an unseren Rädern zu überarbeiten. Wir wollen leichter und flexibler werden, mehr auf kleinen Wegen und nicht auf asphaltierten Highways unterwegs sein. Den gesamten Pamir über ist die Idee des Bikepacking, grob gesagt Radreisen mit wenig Gepäck und dadurch geländegängigere Rädern, in unsern Köpfen herangereift. Ausschlaggebend hierfür war das Aufeinandertreffen mit dem Briten Ben, ein Radweltreisender und Newcomer Filmemacher, den wir in Dushanbe getroffen haben. Dieser hat Andi mit dem Bikepacking-Virus infiziert.
Es dauert etwas, bis wir geeignete Materialien und wasserdichte Packsäcke gefunden haben. Beim Basteln ist Andi dann wieder in seinem Element. Mir fällt es nicht ganz so leicht, mich wieder umzustellen und von liebgewonnen Sachen zu trennen. Ok, zugegeben, in meiner Lenkertasche zum Beispiel hat sich mit der Zeit alles mögliche an Kruscht angesammelt, der nur Platz wegnimmt. Eigentlich wollten wir uns erst in Süd-Ost-Asien bzw. Amerika mit einer Umgestaltung der Räder beschäftigen, Kirgistan hat uns diese Entscheidung abgenommen. Wir starten sozusagen einen Neuanfang auf Rädern.
Herausgekommen sind zwei völlig neu gestaltete Räder. Deutlich leichter als zuvor und hoffentlich auch agiler.
Für uns geht es weiter nördlich von Bishkek über die Grenze nach Kasachstan, weiter nach Almaty. Bevor wir in das Reich der Mitte vordringen, heißt es noch einmal "ja ne panimaju - Ich verstehe nicht".

Vielen herzlichen Dank an die vielen Spender die uns unterstützt haben, nachdem unsere Ausrüstung gestohlen wurde. Wir waren sehr überrascht, wie viele Menschen unseren Facebook-Eintrag gelesen haben und uns halfen, auch weiterhin unterwegs sein zu können.
Außerdem vielen Dank an Andreas und das Radhaus-Team, das uns mal wieder geholfen hat, Dinge so schnell wie irgend möglich zu beschaffen.
DANKE!!!
Unterwegs bis Bishkek 11.828 km und 211 Tage
geschrieben von Steffi
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Ronny (Sonntag, 06 November 2016 20:26)
Kopf hoch und nicht aufgeben! Ich bin nach wie vor von jedem Eurer Berichte begeistert :)
Jürgen (Montag, 07 November 2016 10:13)
Hallo,
auch ich bin ein begeisterter Leser des Blogs.
Ich finde es großartig wie ihr diese Zeit gemeistert habt.
Kopf hoch und weiter so!
Ich freue mich schon auf das nächste Mal von euch zu lesen!
Steffi & Andreas (Montag, 14 November 2016 12:03)
Vielen dank Jürgen und Ronny. Wir haben es auch als Chance gesehen und sind nun mit neuen Setup unterwegs.
Liebe Grüße aus China