
Raus aus Istanbul kommt uns nur halb so grausam vor wie rein. Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass wir mittlerweile abgehärtet sind, was den Verkehr angeht. Trotzdem wollen wir ziemlich zügig an die Schwarzmeerküste fahren und somit die Hauptverkehrsroute am Marmarameer entlang mit ihren vielen großen Städten umgehen. Die gewählte Route ist als Ausflugsroute im Sommer sicher sehr beliebt.
Es folgen ein Picknickplatz nach dem andern. Picknick gehört in der Türkei wohl zum Nationalsport. An heißen Sommertagen fährt halb Istanbul raus aus der Stadt zum Picknick. Aktuell ist hier trotz Wochenende noch nicht viel los.
Die Landschaft an der Küste ist geprägt von Haselnussplantagen. Wohin das Auge reicht überall Haselnusssträucher. Wie wir erfahren, ist die Türkei der größte Haselnussexporteur der Welt. Jetzt wissen wir auch wo Ferrero und Co. ihre Nüsse für den Naschkram her bekommt. Wie Schade, dass noch keine Erntezeit ist. Naja, greifen wir halt auf den Naschkram zurück.


Eigentlich wollten wir an der Küste entlang die vielen kleinen, größtenteils nicht durchgehend asphaltierten Straßen nehmen. Nächtlicher Dauerregen macht uns allerdings einen Strich durch die Rechnung. Der Boden ist wiedereinmal so aufgeweicht, dass bei uns schlechte Erinnerungen an die Schlammschlacht in Bulgarien hoch kommen. Wir flüchten lieber auf die asphaltierten Straßen. Immer wieder kreuzen wir die Baustelle zur Autobahn, die entlang der Küste, quer durch Haselnussplantagen und Dörfer, gebaut wird und in Zukunft den Verkehr durch Istanbul entlasten soll.


Wir haben keine Lust bis Batumi den meist zweispurige Highway an der Schwarzmeerküste entlang zu radeln. Wir lieben die Berge, die Natur, kleine Straßen mit wenig Verkehr. Wir entschließen uns ein wenig ins Landesinnere zu fahren, in der Hoffnung etwas Abwechslung zu finden. Bei Ereğli biegen wir ab und folgen einer traumhaften kleinen Straße. Für die teilweise brutale Steigung werden wir mit einer fantastischen Landschaft und herzlichen Menschen belohnt.
Zugegeben, unsere Schmerzgrenze was Steigungen angeht, ist recht hoch. Angesichts der teilweise brutalen Steigungen, welche wir hier in der Türkei erleben, ist das auch gut so. Häufig werden die Steigungen erst gar nicht in Prozent angegeben. Ein Zeichen dafür, dass es schmerzhaft werden kann.


Viele der auf unserer Karte und Gps noch weiß oder gelb eingezeichneten Straßen sind schon teilweise mehrspurig ausgebaut. Nicht nur der Häuserbau in den Städten, sondern auch der Straßenbau ist gigantisch. Immer wieder fahren wir über Abschnitte mit nagelneuem Asphalt. Dann wiederum stehen wir vor einer Baustelle, welche durch den Regen ein unüberwindbares Hindernis für uns darstellt. Mehrmals ändern wir deshalb unsere Route. Wir lernen schnell, dass die Straßenverhältnisse sich hier so schnell ändern können wie das Wetter.
Mit letzterem hatten wir bis jetzt ja nicht so viel Glück gehabt. Eigentlich hatten wir ab Istanbul mit Sonne und warmen Temperaturen gerechnet. Petrus ist da anderer Meinung und lässt uns immer wieder im Regen fahren.




Was das Wildzelten angeht, haben wir uns noch nie so sicher gefühlt wie hier in der Türkei. Wir haben nie Probleme einen Platz für die Nacht zu finden. Falls doch, fragen wir einfach irgendwo. Trotz Sprachbarriere sind die Menschen sehr hilfsbereit und freundlich. Dank Smartphone und Google Übersetzer, sowie ein paar Brocken Türkisch klappt die Kommunikation ganz gut. Allerdings ist es schade, dass selbst junge Leute kaum Englisch sprechen.
In fast allen Dörfern gibt es jedoch jemanden, der deutsch spricht. Und so kommt es vor, dass wir häufig auf deutsch angesprochen werden. Dies liegt wahrscheinlich auch an der Deutschland Fahne, welche seit einigen Kilometern an Andis Hinterrad weht.
In den Bergen erfahren wir, dass viele Männer in Zeiten des deutschen Wirtschaftswachstum aufgrund ihrer Erfahrung im Bergbau nach Deutschland gekommen sind. Vor allem ins Ruhrgebiet. Manche der ehemaligen Gastarbeiter sind wieder zurück in die Heimat gegangen, andere sind mit ihren Familien in Deutschland geblieben. Wir treffen immer wieder Menschen, welche Onkel, Eltern oder Großeltern in der Türkei besuchen. Menschen, welche in Deutschland geboren und dort aufgewachsen sind. Auch wie es der Zufall will jemanden, der eine Zeit lang in Viernheim gearbeitet hat.




Gastfreundschaft wird in der Türkei sehr groß geschrieben. "Hoşgeldiniz" - "Herzlich Willkommen". Wir haben das Gefühl, die Menschen sind unheimlich stolz auf diese mit dem muslimischen Glaube stark verwurzelte Tradition. Diese Freundlichkeit haben wir bis jetzt von keinem anderen unserer Reiseländer erlebt. Täglich bekommen wir mehrere Einladungen zum Çay. Würden wir alle Einladungen annehmen, würden wir an einem Tag nicht weit kommen. Mehrmals werden wir zum Essen eingeladen oder bekommen etwas geschenkt. Von wegen, dass nur Alleinreisende eingeladen werden. Mag sein, dass es hier noch etwas ausgeprägter ist, wir haben aber jetzt schon Mühe allen Einladungen gerecht zu werden, ohne unhöflich zu sein.

In Taşköprü werden wir von Salih und seiner kleinen Familie eingeladen. Wir können eine längst überfällige Dusche genießen, unsere Wäsche waschen und eine Nacht im Trockenen verbringen. Ein Friseurbesuch wird auch extra für Steffi organisiert. Ein schönes Erlebnis. Die Frauen bemitleiden sie die ganze Zeit für die Entscheidung sich von ihren schönen langen Haaren zu trennen. Aber die Haare müssen ab, und zwar ein ganzes Stück. Zu unpraktisch und pflegeintensiv sind sie doch zum Radeln gewesen.


Immer wieder werden wir von Türken gewarnt, in den Bergen zu fahren. Dort soll es massenhaft wilde und gefährliche Tiere, Bären und Wölfe, geben. Zu gerne hätten wir doch welche gesehen. Auch vor den Nachbarländern werden wir häufiger gewarnt. Wenn wir nachfragen, stellt sich jedoch schnell heraus, dass die Menschen noch nie dort gewesen sind. Auch verstehen die Menschen nicht, warum wir lieber die vielen Höhenmeter im Landesinneren fahren. Alle wollen uns wieder zurück an die Küste schicken. Auf dem zweispuriger Highway mit breiten Seitenstreifen, welcher uns stolz in Fotos gezeigt wird, ist es viel flacher.


Bei Sinop kommen wir dann doch noch auf dem allseits beworbenen Küsten Highway an. Das Meer ist durch die Regenfälle der letzten Tage ganz schwarz und dreckig und macht seinem Namen alle Ehre. Seit Istanbul haben wir keine Reiseradler mehr getroffen. Jetzt treffen wir gleich mehrere an einem Tag. Die Küstenstraße nach Trabzon ist wirklich ein Highway, welcher zum Kilometer machen nur so einlädt. Zeitweise müssen wir uns ein wenig bremsen, zumal das Wetter um die Mittagszeit schon fast zu warm ist zum Radfahren.


Wir haben immer wieder tolle Zeltplätze. Sei es direkt am Meer, an einem der vielen Picknickplätzen, an einem Seitenzufluss oder über den Dächern von Samsun. Teilweise ist die Gegend aber sehr stark verbaut. Bei Ordu verbringen wir eine unruhige Nacht zwischen einem Lkw Parkplatz und einer Tankstelle. Mit Hilfe des Parkplatzwächter bauen wir gerade noch rechtzeitig unser Zelt hinter einem Lkw auf. Es gewittert die ganze Nacht. Am nächsten morgen werden wir schon mit Kaffee und Keksen begrüßt. Bei so viel Herzlichkeit fällt uns die Müdigkeit gar nicht mehr auf.


In Görele werden wir von Hasan, einem Warmshowerhost, und David, der mit seinem Solartrike unterwegs ist, auf der Straße eingesammelt. Hasan hat schon etliche Radreisende bei sich beherbergt, da dürfen wir natürlich nicht fehlen. Wer an der Küste unterwegs ist, sollte zwangsläufig eine Nacht bei ihm einplanen.


In Trabzon warten wir jetzt auf unser Iranvisum. Wir wollen weiter nach Batumi und Tibilisi, hinein in die Berge. Georgien, der kleine Kaukasus und das armenische Hochland warten schon auf uns. Doch die Visa Beschaffung stellt sich als zeitintensiver heraus als gedacht.
Dazu aber bald mehr ...
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Martin K W (Donnerstag, 16 Juni 2016 16:34)
Mal wieder schöne Bilder. Ich wünsch euch weiterhin eine schöne und glückliche Tour. Leider geht euer Link zu dem Video bei mir nicht.
Martin
Christa Unglaube (Donnerstag, 16 Juni 2016 19:24)
Vielen Dank für die Bilder.Sie wecken Erinnerungen in mir. Wir haben die Strecke im Hebst 2012 mit dem WoMo gemacht und ich kann alles , besonders über die Gast -
freundlichkeit bestätigen. Bin gespannt wies weitergeht und ob Ihr auch nach Hatuscha ( neueste riesige Ausgrabungsstätte kommt ) .
Christa
Barbara (Donnerstag, 16 Juni 2016 19:27)
Hallo, danke euch für die schöne Reise, es ist fast als wäre ich dabei :)
wünsche Gesundheit und Sonne
LG
Barbara (eine Naturfreundin)
Werner (Freitag, 17 Juni 2016 09:17)
Tolle Berichte, tolle Eindrücke und leider immer noch kein Geruchsmonitor um die Eindrücke mit der Nase aufzunehmen.
Ansonsten " Scheißwetter " ,war auch 1000km mit dem Auto unterwegs und habe nur geflucht und an euch gedacht... man hört euren Fluch bis nach Hessen :)
Stratmann (Freitag, 17 Juni 2016 21:18)
Macht weiter so!!!
Die Schwarzmeerküste kenne ich noch aus miener aktiven Mopedreisenzeit. Einfach der Hammer dort ch hoffe es ist in den letzten 12 Jahren so geblieben. Hoffentlich gibt es dort immernoch keine Hotelbunker. Ich bin gespannt auf weitere Bilder und Videos!
Bleibt gesund und noch ganz viele pannenfreie km!
LG Grüsse Stephan McTrek Viernheim